Pressetexte

Nummer 247, 24. Oktober 2006, Seite 20

Wir sterben an Liebe und leben von Wein

Dieter Fechner und Pit Witt interpretieren im TiC Lieder von Carl Michael Bellmann
Von Andrea Gerecke

Minden (ag). Der Abend machte durstig. Schon, als Dieter Fechner und Pit Witt passend kostümiert unter anderem in Rüschenhemd, weißer Weste sowie Perücke mit Mozartzopf bierselig singend den Zuschauerraum vom Theater im Café betraten, sprang der Funke über.

Dieter Fechner und Pit Witt ließen auf überaus humorvolle Art und Weise Geschichte lebendig werden. 
Foto: Andrea Gerecke

Beide bereits etwas derangiert, das Haar zerzaust, der Gang leicht schwankend. Zu diesen Künstlern muss hier nicht viel gesagt werden. Jeder ist auf seine Weise bekannt. Dieter Fechner als Kabarettist der Stichlinge und Pit Witt als Pädagoge, Musiker, Sänger.
Diesmal nun hatten sie sich unter Federführung von Robert Werther, der für den Mindener Kunstraum verantwortlich zeichnet, zusammen gefunden, um eine lang gehegte, gemeinsame Idee umzusetzen: ein Programm zu Carl Michael Bellman. Den idealen Rahmen für dessen Sauf- und Liebeslieder bot die Ausstellung von Bernd Spriewald, der unter dem Motto „Menschlichkeiten“ in den Räumen des Rang-Foyers vom Stadttheater und des Theaters im Café seit dem 24. September Malerei und Grafik präsentiert. Der Teil der Bilder im TiC ist noch bis zum 4. November zu sehen, die Werke im Theater selbst kann man bis zum Ende der Spielzeit am 29. April 2007 betrachten. „Menschlichkeiten“ erzählen Geschichten voller Liebe und Lust, Weisheiten und Oberflächlichkeiten.
Ganz in diesem Sinne nun kommen die Texte von Carl Michael Bellman daher. Der schwedische Volkssänger des Rokoko lebte von 1740 bis 1795. Er komponierte, dichtete und trug auch selbst vor. Gelegentlich soll Bellman bei Mozart abgekupfert haben, aber wer will heute darüber richten?! Die Melodien gehen ins Ohr und einige kann man sich gut als Gassenhauer vorstellen. Seine pointierten Werke – in wunderbarer Übersetzung von Zuckmayer und Wader haben nichts an Aktualität eingebüßt. Einerseits erzählt er ebenso wie der Maler Spriewald Anekdoten und zeichnet damit ein Zeitgemälde von anrührender Natur, berauschender Liebe und herben Sitten. Und so hielt denn auch der „Akt auf einem Bett“ als ideales Bühnenbild für die Lieder her. Mittig als großformatiges Plakat hatte man je nach Intention das Model des Malers oder die Muse des Dichters vor sich, die sich sinnenfroh in den Kissen räkelt. Rundum war das Publikum umgeben von erotischen Ein- und Ausblicken. Passender hätte der Abend nicht inszeniert sein können.
Der Vollblutschauspieler Dieter Fechner sang und rezitierte, Pitt Witt spielte komödiantisch und virtuos auf Spinett, Hammerklavier und Akkordeon. Zwischenzeitlich griffen beide immer mal wieder zum Becher, wie es sich gehörte. Schließlich war die Rede von Korn, Branntwein, Kümmel, Punsch, Obstler, Weißem, Rotem und Kindtaufbier. Ulla Winblad, Anna Greta, Anna Stina, Nordström, Kulkus, Mollberg, Vater Berg und die anderen Zeitgenossen von Bellman wurden auf der Bühne lebendig – sie starben an Liebe und lebten von Wein. Dieter Fechner schloss das Publikum in seine Show mit ein, lief singend durch den Raum, klopfte da auf eine Schulter, streichelte dort eine Wange und zupfte auch mal an einem Bart.
Jubel, rhythmischer Applaus, Bravorufe und –pfiffe waren der Lohn für einen rundum gelungenen Abend. Und nur mit zwei Zugaben entließ man die Künstler in eine milde, sternenvolle Oktobernacht.